Allenthalben wird in Deutschland Stillstand beklagt. Stümperei statt Kreativität und Innovation. Beobachten lässt sich die Resistenz gegen das Verlassen verstaubter Pfade in vielen Bereichen: aktuell und dramatisch bei der inkonsistenten Bekämpfung der Pandemie, der halbherzigen Klimapolitik oder der verschlafenen Digitalisierung. Deutschland hinkt den Entwicklungen hinterher, macht immer wieder die gleichen Fehler, die Lernfähigkeit ist unterentwickelt. Alles soll so bleiben, wie es immer schon war.
Dieses Beharren auf alten Denkmustern gilt selbstverständlich auch für die Justiz. Werden Vorschriften und Gesetzen überarbeitet, dient dies meist der Absicherung oder des Ausbaus der exekutiven Macht und Kontrolle. Die Revision des Polizeiaufgabengesetzes mag hier ein Beispiel sein; Stabilisierung des Bestehenden, nur noch ein wenig detailreicher in der Ausformulierung staatlicher Gewalt.
Auch die Außenpolitik hält fest an Freund- und Feindbildern des vergangenen Jahrhunderts. Da mutieren traditionelle Bündnispartner zu autokratischen Diktaturen, doch man macht lieber die Augen zu. Ein Seitenwechsel ist nicht vorgesehen.
Ein Beispiel dieser Verweigerung, angemessen auf Veränderungen politischer und gesellschaftlicher Konstellationen zu reagieren, ist auch die Bewertung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Das vom damaligen Innenminister Manfred Kanther auf Wunsch der Türkei verfügte Betätigungsverbot für die PKK ist jetzt 28 Jahre alt. Nach dem 11. September 2001 kam in der EU zum Verbot noch die Listung der PKK als „Terror“-Organisation hinzu.
Deutschland verharrt im letzten Jahrhundert
Viele Jahre sind seither vergangen, und alle Argumente gegen das von Anfang an umstrittene und nur durch außenpolitische Interessen begründete Verbot der PKK liegen auf dem Tisch. Mit zahlreichen Kampagnen wie zum Beispiel des saarländischen Flüchtlingsrats, mit Initiativen auf parlamentarischer Ebene, Unterschriftenlisten und zahllosen Aktionen in der Öffentlichkeit wurde immer wieder versucht, eine Neubewertung der PKK in Deutschland zu erwirken. Während auf EU-Ebene längst Erfolge erzielt wurden – siehe das Brüsseler Urteil – verharrt Deutschland im letzten Jahrhundert.
Dass sich daran bis heute nicht geändert hat, liegt wahrlich nicht an mangelnder Aufklärung. Die Verfolgungsgeschichte der Kurd:innen ist mittlerweile bekannt. Jeder weiß um die treibende Kraft der PKK bei der Demokratisierung im Mittleren Osten und ihrer Rolle im Kampf gegen den IS. Selbst in den Gerichtssälen winken die Richter müde ab, wenn die Gefangenen in ihren Einlassungen von türkischer Folter und Repression und dem Kampf dagegen berichten.
Regelmäßig wird bestätigt, dass von den im Durchschnitt zehn bis fünfzehn sogenannten „PKK-Kadern“ in deutschen Haftanstalten keinerlei Gefahr ausgeht. Jahre ihrer Lebenszeit werden gestohlen, obwohl ihnen „keine individuelle Schuld“ vorgeworfen wird. Allein ihr Bekenntnis zur PKK, macht sie zu „Terroristen“, für die dann nach §§129a/b StGB verschärfte Haftbedingungen mit allerlei Schikanen gelten. Ihre Teilnahme an legalen Kundgebungen gegen den Krieg in Kurdistan und Deutschlands Unterstützung wird als „Terrorpropaganda“ ausgelegt. Machen sie Krankenbesuche oder spenden Trost bei Trauerfeiern, gilt das als „Terrorismus-Unterstützung“. Organisieren sie Spendenkampagnen für den Kurdischen Halbmond, um Kriegswaisen zu versorgen, wittert man dunkle Finanzmachenschaften. Wie absurd.
Heerscharen von Verfassungsschützern sind damit beschäftigt, akribisch banale „Erkenntnisse“ zu sammeln, um die kurdische Szene auszukundschaften. Wer hat wann mit wem telefoniert? Kein Aufwand wird gescheut, um „Beweise“ zusammenzutragen, die eine „Gefährdung der außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik“ rechtfertigen sollen.
In regelmäßigen Abständen wird ein- und zugegriffen – gerne dann, wenn wieder mal ein Staatsbesuch aus Ankara droht. Auch die Staatsschützer brauchen Erfolge und müssen ihre Arbeit legitimieren. Hier eine Razzia, da eine Verhaftung, Demo-Verbote oder schikanöse Auflagen. Das Reservoir der Instrumente ihrer Repression ist vielfältig. Alles ist eingespielt und läuft nach Drehbuch. Die Paragraphen liegen in der Schublade. Die Textbausteine für die Ordnungswidrigkeiten oder Haftbefehle sind längst abgespeichert. PKK-Zusammenhang? Da genügt dann Copy&Paste.
Das Framing „PKK = Terrorismus“ hält sich wie zäher Schleim
Auch im kollektiven Bewusstsein der Medienschaffenden hält sich das Framing „PKK = Terrorismus“ wie zäher Schleim. Wenn überhaupt, dann sind Demos, Razzien oder Verhaftungen allenfalls einen Dreizeiler wert. Manchmal greifen Lokalzeitungen Einzelschicksale auf, wenn sie sich anrührend genug verkaufen lassen: Der „wirklich gut integrierte“ Familienvater, der abgeschoben wird, weil er mutmaßlich was mit der „verbotenen PKK“ zu tun hatte und dessen Kinder weinen. Die kurdische Mutter, der mit Wegnahme ihrer Kinder gedroht wird, weil sie an „PKK-Veranstaltungen“ teilnahm… Die Berichterstattung zielt auf kurzfristige Entrüstung und ist seltsam entpolitisiert. PKK? Da war doch was mit „Terror“? Warum weiß man nicht so genau. Da kann man dann nichts machen, es wird wohl was dran sein …
Kaum jemand aus der politisch aktiven kurdischen Community hat nicht schon Erfahrung mit Ausgrenzung und Kriminalisierung gemacht: Entzug der Niederlassungserlaubnis oder des Asylstatus‘, schikanöse Meldeauflagen, Geldstrafen, weil eine falsche Fahne getragen wurde. Die mittlerweile dritte Generation wächst heran mit diesem Trauma der Stigmatisierung. Unbeabsichtigter Nebeneffekt ist dann Trotz, der den Zusammenhalt fördert. Immerhin.
PKK halktır, halk yasaklanamaz
So heißt es auch selbstbewusst: „PKK halktır, halk yasaklanamaz – die PKK ist das Volk und das Volk lässt sich nicht verbieten”. Was vor 43 Jahren mit einer Handvoll junger Aktivisten begann, hat sich zu einer international agierenden Freiheitsbewegung entwickelt, getragen von einem zutiefst demokratischen Paradigma. Der Erfolg dieses fast ein halbes Jahrhundert andauernden Widerstands gegen Faschismus, Kolonialisierung und die Verwerfungen der Kapitalistischen Moderne liegt im täglichen Ringen um ein freies und selbstbestimmtes Leben. Nicht als fernes Ziel, sondern als Alternative im Hier und Jetzt. Gelebte Solidarität und Menschlichkeit als Angebot in eigenen Strukturen, die notfalls auch entschlossen verteidigt werden, lassen ahnen, wie eine freie Gesellschaft auch funktionieren kann.
Was die PKK der deutschen Politik voraus hat, ist ihre Lernfähigkeit. Sie ist eine Bewegung, die sich selbst immer wieder in Frage stellt und weiterentwickelt. Während In den Köpfen vieler Deutscher noch immer die Autobahnbesetzungen in den 90er Jahren und der – auch gewaltsame – Widerstand in Europa gegen die Massaker in Kurdistan spuken, hat sich die PKK dafür längst entschuldigt und Selbstkritik geübt. Für Europa wurde ein Gewaltverzicht erklärt. Seitdem gab es unzählige Versuche, auf legaler, diplomatischer Ebene Gehör zu finden. Bis heute mehr oder weniger fruchtlos. Einmal „Terrorist“, immer „Terrorist“.
Dabei gibt es für Deutschland auch ganz praktische Gründe für das Festhalten am Konstrukt, die PKK als „Terror”-Organisation zu bewerten. Muss wieder mal ein wütender Recep Tayyip Erdoğan beschwichtigt werden, genügen ein paar Razzien gegen kurdische Vereine, und in Ankara ist man zufrieden. So instrumentalisiert die deutsche Außenpolitik die PKK bzw. deren Verbot für ihre Zwecke. Eine „Terror“-Organisation im Land zu haben, ist mitunter recht nützlich.
Hinzu kommt, dass die Innenminister „bei den Kurden” gerne ausprobieren, was an Einschränkungen von Grundrechten alles möglich ist. Die deutsche Linke kann ein Lied davon singen.
Ja, in gewisser Weise braucht der deutsche Staat die PKK – beziehungsweise deren Verbot.
Einmal „Terrorist“, immer „Terrorist“
Als die „taz“ 2014 titelte „Die PKK gehört zu Deutschland“, schien es, als öffnete sich ein Zeitfenster für eine Anerkennung. Es war die Zeit, als die PKK mit ihren Schwesterorganisationen in Kooperation mit der Anti-IS-Koalition die Banden des sogenannten Islamischen Staates besiegte. Jedoch währte die Hoffnung auf ein Ende des Verbots nicht lange. Einmal „Terrorist“, immer „Terrorist“. Bisher jeder Innenminister hat dem Verbot noch ein Mosaiksteinchen hinzugefügt und seine Profilierung als Hardliner auf Kosten der Kurd:innen betrieben. Auch dafür war die PKK gut genug.
Wie gelingt ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation? Gesucht wird nach einem Rezept gegen das Ignorieren von Wandel. Die PKK hat sich seit ihrem Bestehen immer wieder neu erfunden. Daran könnte sich die deutsche Politik ein Beispiel nehmen. Mit Verboten als verstaubter Keule des letzten Jahrhunderts lässt sich eine Freiheitsbewegung nicht aufhalten. Die Zeichen der Zeit stehen auf Dialog, der einzige Weg zum Frieden. Offensive Aufklärung mit den neuerdings so beliebten Faktenchecks? Daran wird wohl kein Weg vorbeiführen. Zum Glück hat die PKK einen langen Atem und ist entschlossen genug, ihren Weg fortzusetzen. Das PKK-Verbot wird fallen – davon ist auszugehen. Fragt sich nur, wann Deutschland dafür bereit ist.
Bis dahin wird auf Straßen und Plätzen weiterhin zu hören sein; „PKK-Verbot aufheben, Krieg beenden, politische Lösung fördern!“ Zum Beispiel am 27. November in Berlin, dem 28. Jahrestag des Verbots, wozu eine breite Initiative verschiedenster Gruppen und Einzelpersonen aufruft.
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